„Ich will ehrlich, fair und nie verletzend sein“ (2025)

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Ein Gespräch mit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst über seinen neuen Job als Casting-Juror, die Auswirkungen seines ESC-Sieges und die Wahrnehmung der queeren Community im Show-Business.

Als vollbärtige Diva namens Conchita Wurst gewann Tom Neuwirth vor zehn Jahren mit der Powerhymne „Rise Like a Phoenix“ den Eurovision Song Contest: Der queere österreichische Travestiekünstler lieferte damals einen europaweiten Hit und zugleich einen Denkanstoß für mehr Toleranz. In der Castingshow „The Tribute – Die Show der Musiklegenden“ (ab diesem Freitag, 20.15 Uhr, Sat.1) sitzt der Sänger als Experte in der Jury: In fünf Folgen treten Coverbands gegeneinander an, die Stars wie die Beatles, Udo Lindenberg oder Amy Winehouse möglichst perfekt imitieren wollen.

Hallo, wie darf ich Sie ansprechen, Tom oder Conchita?

Gerne als Tom, denn ich bin ja gerade nicht im Kostüm.

Wann sind Sie Conchita und wann Tom?

Ich glaube, dass ich selber mir darüber die wenigsten Gedanken mache. Für mich macht es nicht so einen Riesenunterschied, denn vieles, was ich als Conchita darstelle, bin ja auch ich, das sind Eigenschaften von mir, die ich in dieser Persona beleuchte. Privat sagt eigentlich niemand Conchita zu mir, außer meinen Drag-Kolleginnen, das ist aber auch so ein Ding unter uns Sisters, dass wir uns mit unseren Drag-Namen anreden. Aber meine Freund:innen und Verwandten würden nie Conchita zu mir sagen, nicht einmal wenn ich geschminkt bin. Meine Mama sagt Tom zu mir.

Vor zehn Jahren haben Sie mit Ihrem Song „Rise Like a Phoenix“ den ESC gewonnen und damals als vollbärtige Diva Conchita Wurst viele Leute irritiert. Sind Sie stolz darauf, was Sie seither in Ihrem Kampf gegen Diskriminierung erreicht haben?

Schwierige Frage. Als ich vor zehn Jahren gewonnen habe, war vieles, was queer ist, plötzlich auf dem Weg zum Mainstream. Ich denke da an die Reality-Show „Drag Race“, die ja mittlerweile ein globales Phänomen ist. Ich war in einem bestimmten Moment des Zeitgeistes in einer Situation, die ich als absolutes Privileg verstehe. Wenn queere Menschen aufgrund meines Sieges inspiriert wurden, ihren Selbstwert zu erkennen, und wenn andere Menschen verstanden haben, dass die Minderheiten Unterstützung brauchen, dann erfüllt mich das mit großer Freude. Aber ich würde mir nicht anmaßen, die gesamte Entwicklung als mein Verdienst zu betrachten.

Jetzt sind Sie Juror in der Castingshow „The Tribute – Die Show der Musiklegenden“. Wie aufgeregt waren Sie, als Sie 2006 in der österreichischen Castingshow „Starmania“ auftraten?

Ich war nervös, nervös, nervös! Ich hatte damals natürlich keinen Schimmer vom Showbusiness, alles war so neu und aufregend. Ich als Landei auf der großen Bühne – das kann man sich nicht vorstellen. Aber es hat sich dann ja auch alles erfüllt, was ich mir schon als Kind erträumt hatte. Ich wollte immer vor Menschen singen, ich wollte immer berühmt werden. Ich habe es genossen und genieße es bis heute, ich liebe Attention. Auch wenn ich inzwischen weiß, dass Berühmtheit im Grunde gar keinen Wert hat.

Inwiefern?

Früher als Jugendlicher dachte ich: Wenn ich berühmt bin, dann lieben mich alle. Wenn du queer aufwächst und von der Gesellschaft immer signalisiert bekommt, dass du nicht dazugehörst, dann erarbeitest du dir Überlebensstrategien. Eine davon ist es, in so vielen Dingen wie möglich wahnsinnig gut zu sein, damit du Anerkennung und Liebe bekommst. Und ich dachte mir: Wenn mich alle kennen und toll finden, dann hat sich das ja erledigt. Aber dass es im Grunde darauf ankommt, sich selber anzunehmen und lieben zu lernen, das begreift man erst im Alter.

In „The Tribute – Die Show der Musiklegenden“ wird die beste Coverband Deutschlands gesucht, Formationen, die unter anderem die Beatles, Peter Maffay oder Amy Winehouse nachmachen. Sollte es bei Kunst nicht eher darum gehen, etwas Eigenes zu erschaffen als andere zu imitieren?

Ja, meiner Meinung nach ist das wirklich das Wichtigste. Auch wenn man eine andere Person darstellt und deren Material singt, muss man sich selbst darin finden, nur dann kann man im Publikum etwas auslösen. Das habe ich auch auf dem Jurystuhl gemerkt. Es ist zwar unglaublich eindrucksvoll, wenn eine Person vor dir steht und du denkst: Das gibt es ja nicht, das ist ja das gleiche Gesicht, sind die gleichen Bewegungen wie bei dem Star, der da gecovert wird. Aber das ist nicht nachhaltig, sondern dieser Effekt nutzt sich schnell ab. Erst wenn man etwas Eigenes erschafft, ist es wirklich magisch.

Zur Person

Thomas Neuwirth (35) kam 1988 im österreichischen Gmunden zur Welt und wuchs in einen kleinen Ort in der Steiermark auf, wo seine Eltern ein Gasthaus führen. Er besuchte eine Modeschule in Graz, belegte bei einer Castingshow im österreichischen TV den zweiten Platz und tritt seit 2011 als Dragqueen mit dem Namen Conchita Wurst auf. Seit dem ESC-Sieg 2014 („Rise Like a Phoenix“) gilt Neuwirth als Ikone der LGTBQ-Szene, hat mehrere Alben und Singles veröffentlicht, tritt mit einem Varieté-Programm auf und spielt neuerdings auch Theater. Neuwirth erhielt für sein Engagement gegen Diskriminierung viele Auszeichnungen und lebt in Wien. FR

Wer war denn Ihr Idol in den Anfängen Ihrer Karriere?

Meine Mama hatte eine CD, darauf war die erste Nummer der James-Bond-Song „Goldfinger“ von Shirley Bassey – das war meine musikalische Früherziehung, das hat mich durch Mark und Bein erschüttert. Ich liebe das große Drama in einer weiblichen Stimme. Barbara Streisand, Céline Dion, Whitney Houston: da schmelze ich dahin. Und wenn Maria Callas „Casta Diva“ singt, das könnte ich mir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag anhören.

Auf einer Skala von lieb zu fies, von Mutter Teresa bis Dieter Bohlen: Wo würden Sie sich als Juror verorten?

Was ich nicht gut finde ist, wenn in einer Castingshow jemand aus der Jury glaubt, unbedingt jemanden beleidigen zu müssen, um Lacher zu generieren – das sind nicht meine Vibes. Ich will immer ehrlich, fair und nie verletzend sein. Natürlich ist die Wahrheit oder meine subjektive Wahrheit nicht immer positiv. Wenn ich etwas zu kritteln finde, dann sage ich das auch – ich will mein Wissen weitergeben. Ich möchte Feedback geben und dem Künstler dann auch erklären, was ich an seiner Stelle ändern würde, damit die Person auch etwas für sich mitnehmen kann.

Sie waren auch Juror in der Castingshow „Ich will zum ESC!“. Wollen Sie sich verstärkt auf Ihre TV-Karriere konzentrieren?

Wie es sich ergibt. Ich bin ja auch so ein bisschen ein Tausendsassa, deshalb versuche ich, möglichst vieles in meinem Terminkalender unterzubringen. Wenn die Angebote kommen, wenn die Leute mich sehen wollen, und ich glaube, dass es mir Spaß machen könnte, dann mache ich das total gerne. Alles andere sage ich ab.

Also sind Sie keiner, der einen Zehnjahresplan für die Karriere verfolgt?

Doch, theoretisch habe ich so etwas, aber mir ist nicht zu trauen (lacht). Wenn ein neues Angebot kommt, das mir besser gefällt, werfe ich alle Pläne über den Haufen.

Vor einigen Monaten haben Sie in Wien Ihr Schauspieldebüt gegeben, im Theaterstück „Luziwuzi“ verkörpern Sie regelmäßig den schwulen Schwager von Kaiserin Sissi. Wollen Sie auch mal in Filmen und Serien mitspielen?

Ich würde auf jeden Fall gerne in einem Hollywoodfilm mitspielen, aber ich warte noch auf den Anruf (lacht). Ich habe definitiv Blut geleckt. Ich liebe das Schauspielen, diese theatralische Art, sich auszudrücken, und nehme dabei viel für mich persönlich mit.

Finden Sie, dass homosexuelle oder queere Rollen nur von ebensolchen Schauspieler:innen verkörpert werden sollten?

Ich habe da verschiedene Zugänge. Zum einen wäre es natürlich toll, der queeren Community, die im Schauspiel tätig ist, diese Rollen zu ermöglichen. Diese Community wurde bis vor gut zehn Jahren ja gar nicht wahrgenommen, und ich finde, den Minderheiten muss einfach eine Plattform gegeben werden. Zum anderen muss aber auch das Talent überzeugen. Wenn eine heterosexuelle Person einen homosexuellen Menschen authentisch spielen kann, wenn es nicht klischeebehaftet ist, dann: Go for it!

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